Auf dieser Seite finden Sie alle längeren Beiträge, die für den Newsletter Dezember 2024 erstellt wurden.
Hier gibt es erste Einblicke in die Überarbeitung des Filmraums in der Dauerausstellung „Konzentrationslager Flossenbürg 1938 – 1945“ und alle Beiträge zum Hauptthema dieser Ausgabe „Kreativität und Kunst in der Erinnerungsarbeit“.
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Neukonzeption Filmraum
Die Präsentation videografierter Interviews mit ehemaligen Häftlingen des Lagerkomplexes Flossenbürg im Filmraum der Dauerausstellung „Konzentrationslager Flossenbürg 1938 – 1945“ wird neu gestaltet. Für den Umbau müssen wir den Filmraum ab dem 9. Dezember 2024 vorübergehend schließen.
Modell des neuen Filmraums (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Foto: Space4)
Knapp 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es kaum noch Menschen, die aus eigener Erfahrung über die Verfolgung durch die Nationalsozialisten sprechen oder von jenen Menschen berichten können, die ermordet wurden. Aber auch wenn die Überlebenden des nationalsozialistischen Terrorregimes bald nicht mehr unter uns sein werden, haben sie dennoch zahlreiche Spuren hinterlassen, in denen ihre Geschichten und Erinnerungen konserviert sind. Nur ein Bruchteil davon wird bislang für Ausstellungen oder Bildungsprogramme genutzt. Am Ende der Ära der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen stellt sich daher die Frage, wie wir in Zukunft mit ihrem Erbe umgehen wollen.
Ausgehend von unserer umfangreichen Sammlung videografierter Interviews mit Überlebenden des KZ Flossenbürg und seiner Außenlager entwickeln wir daher eine immersive, audiovisuelle Medieninstallation, in der die ehemaligen Häftlinge mit ihren Erzählungen im Fokus stehen. Unsere Suchbewegungen verstehen wir als einen Beitrag zur Diskussion über den zukünftigen Umgang mit den Erzählungen der Überlebenden.
Zusammen mit Kolleg*innen aus den Bereichen Gestaltung, Architektur, Animation und Tondesign haben wir uns die Frage gestellt, wie den Stimmen der Überlebenden innerhalb der Ausstellung Raum gegeben werden kann, um den Besucher*innen einen persönlichen Zugang zu den Erzählungen der einstigen Häftlinge zu ermöglichen. Leitend war dabei die Annahme, dass Ausstellungen nicht in erster Linie Wissen vermitteln, sondern Orte sind, aus denen die Besucher*innen prägende Eindrücke mitnehmen. Anstatt kurzer thematischer Clips wird die Besucher*innen eine Installation erwarten, in der zahlreiche Überlebende über ihre individuellen Erfahrungen der Lagerhaft sprechen. Die einzelnen Sequenzen sind dabei dialoghaft zueinander in Bezug gesetzt sind, um den Besucher*innen eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit den Erinnerungen zu ermöglichen.
Das Ausstellungsteam hat dafür eine Vielzahl an Interviews gesichtet und ist in ein Meer von Erinnerungen Erzählungen, und ganz persönlichen Erfahrungen eingetaucht. Nicht selten wurden wir dabei überwältigt. Die Auswahl der einzelnen Sequenzen fiel niemandem leicht, es war gleichermaßen ein Ringen mit dem Erzählten und mit uns selbst.
Das Ergebnis unserer Suchbewegungen wird voraussichtlich im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten im April 2025 präsentiert.
„Erinnerung bewegt“
Ein Tanzworkshop in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Schulwerk in Bayern
Durch eine angenehme Verkettung von Zufällen ergab sich die Gelegenheit, dieses Jahr zwei Tanzworkshops mit dem Tänzer und Choreographen Alan Brooks anzubieten. Schon seit 2016 pflegen wir die Zusammenarbeit und Alan gehört inzwischen praktisch zum Team der Bildungsabteilung.
Teilnehmende am Workshop „Erinnerung bewegt“ (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg)
Das Katholische Schulwerk in Bayern war mit dem Wunsch an uns herangetreten, ein kreatives Programm für seine bayerischen Mitglieder anzubieten. So fanden Ende September 24 Schüler*innen aus Landshut, Regensburg, Altötting, Gemünden, Waldsassen und Furth im Wald ihren Weg nach Flossenbürg.
Geeint waren die Teilnehmenden in dem Wunsch, sich die Geschichte mit individuellen tanzenden Bewegungen zu erschließen. Zugleich ging es ihnen natürlich auch darum, neue Menschen kennenzulernen und mit Gleichaltrigen eine gute Zeit zu verbringen.
Eingangs bewegte die Frage, ob es angemessen sei, in einem ehemaligen Konzentrationslager zu tanzen. Viele der ehemaligen Häftlinge dokumentierten und verarbeiteten ihre Gewalterfahrung und Entmenschlichung mit Hilfe der Kunst.
Wie ist es aber im Hier und Jetzt, eine Kunstform, die viele von uns eher mit Freude und Ausgelassenheit verbinden, an einem Ort des nationalsozialistischen Terrors für die Bildungsarbeit zu verwenden?
Nach einer Woche war die Antwort klar: In der Schlussrunde zeigte sich deutlich, dass diese Form der Annäherung an das Leben der KZ-Häftlinge eine ganz andere Dimension entwickeln kann als in der rein kognitiven Beschäftigung mit dem Thema.
Die Darbietungen, welche die Schüler*innen unter einfühlsamer Begleitung von Alan Brooks entwickelt hatten, berührten die Besucher*innen, wie auch unseren Mitarbeiter der Bildungsabteilung, Christian Landgraf, der sich um die historische Rahmung des Workshops gekümmert hatte, sichtlich.
„Granit – der ‚deutsche‘ Stein“
Čojč – grenzübergreifendes Theaternetzwerk Böhmen Bayern entwickelt im DESt/OSTI-Gebäude ein Projekt zum Thema “Granit – der ‘deutsche’ Stein”
Im frühen Sommer 2024 kam Valentina ‘Lexi’ Eimer vom Theaternetzwerk Čojč auf die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zu. Sie hatte mit ihrem Team Fördermittel beantragt, um ein grenzübergreifendes Projekt mit Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus zu entwickeln.
Aufnahme aus dem Workshop „Schutzsuchend die Hand heben“ (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Foto: Čojč)
Im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Deutschen Erd- und Steinwerke (DESt) fanden sie den passenden Ort. Das Gebäude beeindruckt immer wieder durch seine baustellenartige Unfertigkeit. So nahm es die Besucher*innen schon im Rahmen mehrerer Pop-up-Ausstellungen mit auf eine Zeitreise durch 80 Jahre Nachnutzung eines ehemaligen KZ-Gebäudes.
Ende März 2024 endete der kommerzielle Granitabbau im ehemaligen Steinbruch des Konzentrationslagers Flossenbürg und das Gelände wird schrittweise in die KZ-Gedenkstätte eingegliedert. Bis zur endgültigen Entscheidung über die künftige Gestaltung des Areals befindet es sich praktisch in einer Übergangsphase. Diese nutzt die KZ-Gedenkstätte schon seit einiger Zeit für experimentelle Erinnerungsformate.
Vom 28. Oktober bis zum 3. November schlugen drei Schauspieler*innen und zwei Theaterpädagogen hier ihre Zelte auf. Ausgestattet mit vielfältigem und umfangreichem Material zu den Haftbedingungen der Gefangenen sowie Biographien von Häftlingen aus Tschechien machten sie sich auf die Suche nach aussagekräftigen Szenen.
Die ersten Ergebnisse sprechen für sich: Das Wandgemälde im ehemaligen „Gefolgschaftssaal“, welches an einer Stelle einen athletischen Steinmetz zeigt, wird durch die Projektion der Zeichnung eines Häftlings mit eingefallenem Gesicht in seinem Zynismus entlarvt.
Zwei Schauspieler*innen nähern sich mit Hilfe dieser Überlappung der Bilder dem Alltag der Häftlinge an. Und scheitern jedoch immer wieder daran, die Erniedrigung und Angst der Menschen, die als Sklaven im Steinbruch schuften mussten, zu erfassen.
Gerahmt wird die szenische Darstellung von einem ebenfalls durch Čojč ausgearbeiteten theaterpädagogischen Programm. Die KZ-Gedenkstätte bietet bei dieser Kooperation lediglich den historischen Raum und das nötige Quellenmaterial. In regelmäßigem Austausch mit wissenschaftlichen Mitarbeitenden wird das Ergebnis neu justiert und gegebenenfalls angepasst.
Anfang Dezember startet der zweite Probenblock mit einer anschließenden Werkschau. Dann wird sich zeigen, ob das Konzept das Potential hat, in das Bildungsangebot der KZ-Gedenkstätte einfließen zu können.
„History in Motion“
Ein grenzübergreifendes D-CZ Projekt für Menschen mit und ohne Behinderung
Jeweils vier Teilnehmende des Gymnasiums Tachov, des Wohnortes für Menschen mit Behinderungen Domov Milíře, der Jura-Werkstätten Amberg und der FOS/BOS Weiden begaben sich Ende November auf eine Reise, deren Ausgang wir selbst als KZ-Gedenkstätte nicht vorhersehen konnten.
Teilnehmerin von „History in Motion“ (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Foto: Rainer Viertlböck)
Das Format des Tanzworkshops schließt an eine Reihe grenzübergreifender und inklusiver Projekte an und ist in der Kombination doch ganz neu. Begleitet wird es von einem professionellen Team aus Pädagog*innen, einer Sprachmittlerin, dem Tänzer und Choreografen Alan Brooks sowie zwei Mitarbeitenden der KZ-Gedenkstätte.
Das Programm war bewusst schlank gehalten, um bei den Teilnehmenden Überforderung zu vermeiden. Der Sprachanimateurin Tereza Verezová gelang es mit unkonventionellen Ideen schnell ein Gruppengefühl zu schaffen, etwa als die Teilnehmenden als Bienenschwarm miteinander in Kontakt kamen. Und trotzdem war das Fehlen einer gemeinsamen Sprache ein Hindernis und erschwerte manche Begegnung.
Mit seiner unvergleichlichen Art ist Alan Brooks wie immer der Star der Gruppe. In erstaunlich kurzer Zeit formt er auf eine behutsame und zugleich positiv fordernde Weise mit Hilfe von biographischem Material und Zeichnungen ehemaliger Häftlinge eindrucksvolle Choreographien. Er stellt die Menschen ins Zentrum seiner Arbeit. Und richtet sie so innerlich und äußerlich auf.
Der letzte Abend bringt das Projekt auf den Punkt. Im Aufenthaltsraum entwickelten sich spontane Tänze, wie zum Sommerhit Macarena (1996), in denen sich die Grenzen zwischen den Teilnehmer*innen verloren. Schon im Verlauf der Woche hatten wir Inklusion immer wieder als lebendig und echt erlebt. Die Rückmeldung einer der begleitenden Pädagoginnen war: "Das Miteinander ist authentisch, keine Begegnung ist künstlich oder aufgesetzt."
Am Ende der Woche kam ein ganzer Bus mit 30 Besucher*innen aus Tachov, um die erarbeiteten Choreographien zu würdigen und die Gedenkstätte zu besuchen. Am Schluss nahmen sie ihre Mitschüler*innen nach einer gelungenen Tanzwoche wieder mit zurück nach Hause.
Die Planungen für die Tanzworkshops 2025 sind schon in vollem Gang.
„Vom Monolog zum Dialog“
Ein Projekt mit dem Theaterpädagogen Harald Hahn
Im Zuge der Entstehung der Ausstellung „Die Verleugneten. Opfer des Nationalsozialismus 1933 – 1945 – heute” entwickelte die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zusammen mit dem Berliner Theaterpädagogen Harald Hahn das Projekt „Vom Monolog zum Dialog”.
Harald Hahn auf der Bühne (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg / Foto: Harald Hahn)
Harald Hahns Großvater wurde als sogenannter „Asozialer“ von den Nationalsozialisten verfolgt und in einem Konzentrationslager inhaftiert. Seine Familiengeschichte verarbeitete er im Theaterstück „Monolog mit meinem ‘asozialen’ Großvater”. Daraus ergab sich die Idee, für das Begleitprogramm der Ausstellung ein Bildungsangebot zu entwickeln.
Dies gestaltete sich gar nicht so einfach. Das Anliegen der KZ-Gedenkstätte war es, die Teilnehmenden mit den betroffenen Menschen wirklich in Kontakt zu bringen. So entstanden nach langem Feilen sehr schlanke Biographien, die das Schicksal von drei Menschen erzählen, die in der Zeit des Nationalsozialismus nicht Teil der Gesellschaft sein durften.
Mit Hilfe der Biographien entwickeln die Teilnehmenden kurze Monologe, in denen sie sich z.B. aus Sicht eines Angehörigen mit der Geschichte eines Häftlings auseinandersetzen. Eng vom durchführenden Team unterstützt, werden in Kleingruppen aus den Monologen Szenen entwickelt und anschließend im Plenum präsentiert.
Im Anschluss besteht die Möglichkeit, nochmals in der Gruppe über das Erlebte zu sprechen. Das Format wurde in vier Workshops erprobt. Die Teilnehmer*innen brachten ganz unterschiedliche Hintergründe mit.