Heute existieren hunderttausende aufgenommene Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen. Keine Erzählung gleicht der anderen, auch wenn sie sich immer wieder ähneln. Die Zeugnisse sind gefärbt von den Erlebnissen der Sprechenden und folgen keiner zeitlichen Chronologie. Vielmehr handelt es sich um assoziative Verknüpfungen erinnerter Fragmente. Der Inhalt der Erzählung ist das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen den Interviewpartnern. Die erzählten Geschichten entwickeln ihre eigene Logik: mal folgen sie einem Erzählstrang, mal werden sie von unerwarteten, emotionalen Momenten gebrochen oder durch neues, sekundäres Wissen angereichert.
Die Ausstellung blickt auf den Video-Sammlungsbestand an Zeitzeugnissen der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und zeigt exemplarisch, wie das Erlebte, die Erinnerung an den Nationalsozialismus, seine Verbrechen sowie dessen Vor- und Nachgeschichte erzählerisch unterschiedlichen Ausdruck findet.
Die Erzählung erlebter Erinnerungen sind oft von Emotionen und traumatischen Erlebnissen geprägte Erinnerungsstücke, Fragmente. Der Sprechende sucht nach Worten und Sätzen, sich verständlich zu machen. Der Erzählstrang erschließt sich dem Zuhörenden oftmals nicht sofort, ist assoziativ gestaltet und folgt der eigenen subjektiven Logik des Zeitzeugen. Es besteht keine Routine im Aufbau des Erzählten.
Hana Malka spricht Jahrzehnte nicht über Ihre Erlebnisse. Selbst ihre Kinder wissen nur sehr wenig. In ihrer Erzählung reflektiert sie sachlich über ihr langes Schweigen und die Gründe dafür, dieses am Ende ihres Lebens zu brechen. Als Zeitzeugin möchte sie erzählen, wie es war, damit vor allem junge Menschen ihr Erbe weitertragen und sich frühzeitig gegen Entwicklungen wehren, die zu Menschheitsverbrechen führen können.
Die Schilderung der Erlebnisse, vor allem wenn sie mehr als 70 Jahre vergangen sind, bleibt vielfach ausschnitthaft und flüchtig. Für die Interviewten ist es essentiell, glaubhaft zu sein. Sie wollen mit ihren Erzählungen und Interviews überzeugen. Um immer wieder von den eigenen Erfahrungen berichten zu können, wird ein Netz von weiteren Erzählungen und historischem Wissen zusammengesetzt. Sie sehen sich nicht nur als Zeitzeugen, sondern auch als historische Experten.
Max Glauben reichert seine kindlichen Erlebnisse im Warschauer Ghetto immer wieder mit informativen Passagen an. Diese speisen sich aus seinem Wissen über die Geschichte der Verfolgung und Ermordung, das er erst viel später erworben hat. Als Zeitzeuge bestreitet er unermüdlich Gespräche mit Gruppen und Schulklassen. Für ihn ist es wichtig, viele Menschen zu erreichen und ihnen seine Erzählungen als Teil der Geschichte des Holocausts weiterzugeben.
Die Erzählung erlebter Erinnerungen sind oft von Emotionen und traumatischen Erlebnissen geprägte Erinnerungsstücke, Fragmente. Der Sprechende sucht nach Worten und Sätzen, sich verständlich zu machen. Der Erzählstrang erschließt sich dem Zuhörenden oftmals nicht sofort, ist assoziativ gestaltet und folgt der eigenen subjektiven Logik des Zeitzeugen. Es besteht keine Routine im Aufbau des Erzählten.
Simon Ryger schildert die Situation, wie er und ein Freund für den Transport von Auschwitz-Birkenau nach Flossenbürg ausgewählt wurden. Es ist für ihn nicht einfach, Details dieser Situation zu erinnern. Die Interviewerin versucht durch ihre Nachfragen Klarheit zu schaffen. Es bleibt offen, ob die Fragen ihn verunsichern oder anregen, seine Erzählungen zu entwickeln.
Vor allem solche Ereignisse werden zu erzählter Erinnerung, die eine besondere persönliche Bedeutung für die Erzählenden haben und mitunter das weitere Leben prägen. Für Überlebende sind dies meist Momente, in denen sie selbst oder ihnen nahestehende Personen von Terror und Tod bedroht waren. Häufig bewirken solche Erschütterungen die Abkehr von gewohnten Haltungen und Perspektiven.
Charles Dekeyser erzählt tief bewegt, dass er mit ansehen musste, wie ein Freund auf dem Appellplatz gehängt wurde. Hilflos der Macht der SS ausgeliefert, bittet er in diesem Moment Gott darum, den Freund zu retten. Der willkürliche Terrorakt und der Verlust einer vertrauten Person haben zur Folge, dass Dekeyser sein Vertrauen in die Religion verliert.
Auf beiden Seiten der Kamera gibt es Interessen und Prioritäten bezüglich der Inhalte, die angesprochen werden sollen. Dies führt unweigerlich zu Spannungen, wie viel Raum den Überlebenden für einzelne Themen gegeben wird. Demgegenüber wollen auch die Zeitzeugen selbst entscheiden, was sie in beschränkter Zeit für erzählenswert erachten und wie viel Raum sie für die Erzählung benötigen.
Shelomo Selinger wird gegen Ende des Interviews von seiner Ehefrau auf eine Episode aufmerksam gemacht, die er ihrer Meinung nach erzählen sollte. Die sieben Jahre andauernde Amnesie ist ein prägendes Ereignis in seinem Leben. Dennoch möchte der Interviewer dieses Thema wegen Zeitmangels auf wenige Sätze beschränken. Nachdem Selinger den Wunsch seiner Frau bedient, gelingt es ihm, seinen ursprünglichen Erzählpfad wiederaufzunehmen.
Die erlebte Erinnerung den nachfolgenden Generationen zu erzählen, empfinden viele Überlebende als Auftrag. Nur diejenigen, die überlebten, können berichten. In vielen Interviews sind Momente zu finden, wo diese Form der Weitergabe angedeutet oder auch klar als Auftrag formuliert wird: denjenigen, die nicht mehr sprechen konnten, eine Stimme zu geben. Sich in diese Pflicht der Weitergabe zu stellen, ist oftmals mit einem moralischen Appell verbunden.
Aleksander Laks sieht sich von seinem Vater beauftragt, von seinen Erfahrungen zu berichten. Die Ermordung des Vaters im KZ Flossenbürg war für den 16jährigen ein traumatisches Erlebnis. Bis ins hohe Alter besucht er die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und spricht mit vielen Schülerinnen und Schülern. Ihm selbst ist es zum Ende des Interviews wichtig zu betonen, dass nicht Hass oder Rache seine Leitmotive sind, sondern die Wahrhaftigkeit.
Immer wieder sind in Zeitzeugeninterviews unerwünschte Unterbrechungen zu beobachten. Wenn mehrere Sprachen im Raum gesprochen werden, können Eingriffe an einer ungeeigneten Stelle zu erheblichen Irritationen der Interviewten führen. Manche dieser Interventionen werden von den Zeitzeugen als Zumutungen erlebt, die ihre Narration und die Gesprächsatmosphäre beeinträchtigen.
Yosef Kapel wird am dramatischsten Punkt seiner Erzählung unterbrochen. Der Interviewer versteht aufgrund der Sprachbarriere nicht, dass Kapel gerade beschreibt, wie er sich in Todesangst befand. Es fällt Kapel sichtlich schwer, die Intervention einzuordnen, weshalb er offen fragt, ob seine Geschichte nicht interessant sei. Ihn verstört, dass die Erzählung von seinen Gesprächspartnern aus seiner Sicht nicht gewürdigt wird. Er sieht sich deshalb in seiner Funktion als Zeitzeuge infrage gestellt.